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TRISOLIT
von Christian Mai
KASACHSTAN, BAIKONUR
Es war wohl die kälteste Nacht, die Olev je erlebt hat. Eisiger Wind wehte über die Steppe Kasachstans und trieb losen Schnee vor sich her. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so gefroren zu haben, und er hatte Erfahrung mit der Kälte. Aufgewachsen im Norden von Sibirien hatte er einige eisige Winter erlebt, in dem der Dampf beim Ausatmen sofort knisternd gefror. Sie nannten es „Sibirisches Sternflüstern“. Schon als Kind hatte er es gehasst. Dieses ewige, in mehreren Schichten angezogen sein, immer darauf achtend, nichts mit bloßer Haut zu berühren, um nicht festzukleben. In Sekunden fror alles, was irgendwie flüssig war, die Autos und Heizungen mussten immer laufen, ansonsten platzten die Leitungen. Mit etwa vier Jahren bekam er seinen ersten Schluck Wodka, der von da an sein täglicher Begleiter wurde, was ihm ein trügerisches Gefühl von Wärme gab.
Sobald es ihm möglich war, verließ er diesen verhassten Ort, was aber nicht nur an der Kälte lag. Seine Mutter starb früh, das Verhältnis zu seinem Vater kaputt, hielt ihn nichts. Es zog ihn in die Welt und er wurde dann in Moskau von einer Organisation für Personenschutz rekrutiert, dessen Aufgaben ihn für einige Zeit in den mittleren Osten führte. Gott, was hatte er für eine schöne Zeit dort gehabt. Das Leben dort war genau nach seinem Geschmack. Er liebte das Essen, die Hitze und erst diese modernen arabischen Frauen…
Er bedauerte es sehr, dass er wieder nach Moskau beordert wurde, und er schwor sich sehr bald wieder zurückzukehren.
Und jetzt? Jetzt stand er hier, splitternackt, irgendwo mitten in der eisigen Steppe Kasachstans. Vor dieser Ruine von Hangar. Einst der Stolz der Sowjetunion. Die Antwort auf das Rennen in den Weltraum. Legendäre Raketen wurden hier gebaut, erfolgreiche Flüge absolviert. Doch das Scheitern suchte seinesgleichen. Die Kosten explodierten, die finanzielle Unterstützung wurde eingestellt. Zu allem Unglück brach auch noch das Dach des Hangars und stürzte auf die Prototypen. Das Projekt wurde sofort eingestellt und der Hangar, so wie er war, sich selbst überlassen.
Trostlos stand er jetzt verlassen in der Landschaft. Wie ein drohendes Mahnmal einer vergangenen Zeit. Gemieden, vereinsamt. Nach und nach fiel er in sich zusammen und nur vereinzelte Plünderer nahmen sich alles, was irgendwie brauchbar war. Sie hinterließen ihre unrühmlichen Spuren. Dreck, Müll und Schutt, um den sich jetzt der lose Schnee zu Verwehungen auftürmte. Ein Ort, an den sich niemand mehr verirrte, doch in dieser Nacht war es anders.
Die klirrende Kälte hatte ihn fast durchdrungen. Er spürte seine Arme nicht mehr. Seine Ellenbogen waren hinter seinem Rücken fixiert. Um die Waden schnitt ein fest gewickelter Draht bei jeder Bewegung tiefer in die Haut.
Kraftlos starrte Olev durch seine halb offenen Lider auf das, was seine Füße sein mussten. Blau standen sie da, in einer roten gefrorenen Lake Blut. Loser Schnee sammelte sich zwischen den Zehen und bildete kleine Hügel. So gleichmäßig sahen sie aus. Er versuchte sie zu bewegen, hatte aber die Gewalt über seine Muskeln verloren.
Gerne wäre er in sich zusammengesackt, doch er wurde von einem Mann an seiner Seite gestützt. Sergej, sein alter Freund, sein Kumpel, mit dem er durch dick und dünn gegangen war. Mit dem er in den Arabischen Emiraten Seite an Seite gearbeitet hatte. Im Iran rette er ihm das Leben und ausgerechnet er brachte ihn hierher. Ließ ihn nicht ruhen ob seiner Qualen, während unablässig eine Eisenstange seinen Körper malträtierte.
Nach Luft ringend schloss er die Augen. Er wusste, es würde nicht mehr lange dauern… Sein Blut floss unaufhaltsam in die Körpermitte, um die Funktion der wichtigsten Organe zu garantieren. Alles andere war wie betäubt. Er spürte nichts.
„Du Dreckskerl…“
Die Stange traf ihn unterhalb der Rippen. Ein stechender Schmerz schoss durch ihn hindurch, doch er war nicht mehr so stark wie die vorher und ebbte auch schnell ab. Die Kälte zollte ihren Tribut. Sie fraß sich in seinen Körper und betäubte ihn immer mehr. Was für eine Ironie… Die Kälte brachte ihm erst Schmerz, dann Linderung, dann bringt sie ihn um.
Der Mann mit der Stange kam einen Schritt auf ihn zu und riss seinen Kopf in den Nacken.
„Hör zu, Olev, mir in den Rücken fallen, nach allem, was ich für dich getan habe… eine dumme Idee. Du hinterhältiger Dreckskerl.“
Er bekam die Augen nicht richtig auf. Ein Schlag hatte seine linke Gesichtshälfte getroffen, die stark angeschwollen war. Seitdem fiepte ein schriller lauter Ton in seinen Ohren.
„Du weißt, was ich mit Verrätern mache…“
Olevs Kopf fiel auf die Brust zurück. Er war zu schwach ihn wieder anzuheben. Unendliche Schmerzen hatte er erlitten, Schmerzen, die so stark waren, dass er gelähmt war und immer nah an einer Ohnmacht kratzte. Doch eben nur nah. Er war so gut trainiert, so stark, er konnte einiges ab. Das wurde ihm hier zum Verhängnis.
Hoffnungslos schloss er die Augen. Er wusste, es würde nicht mehr lange dauern…
„Nicht einschlafen, du Dreckskerl…“
Sein Kopf wurde wieder in den Nacken gerissen. Ein Reflex schob ihm die Augen etwas auf.
Einen Moment blieb die Zeit stehen… noch nie hatte er so etwas gesehen. Der Himmel strahlte förmlich. Nie hatte er eine so sternenklare Nacht erlebt. Jeder Stern war deutlich zu erkennen. Millionen, nein Milliarden Sterne jeder Größe standen glasklar funkelnd am Firmament, leuchteten wie zu einem stillen Konzert. Eine Ode, die sie nur für ihn spielten.
„Was glaubst du, erwartet dich…?“
Immer weiter wurde er sein Kopf nach hinten gebogen. Doch es kam kein Schmerz. Überrascht wollte er etwas sagen, doch sein Kiefer war bewegungslos, die Kehle eingefroren. Nicht mal ein Grunzen kam aus ihm heraus.
Irgendetwas traf sein Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite und der Sternenhimmel war schwarz. So schwarz wie die Nächte in Sibirien.
„Hast du geglaubt, dass du damit durchkommst? Dass wir nicht dahinterkommen?“
Er bäumte sich auf, doch es war nur ein Zucken.
„Bist du sprachlos? Komm schon, du Dreckskerl… sag was…“
Etwas riss an ihm, dann warf ihn ein heftiger Stoß nach vorne. Knochenbrechendes Krachen erfüllte seine Ohren. Durch seine Brust schoss ein stechender Schmerz. Sekunden später schlug er mit der Stirn auf den Boden.
Plötzlich waren die Schmerzen weg. Stille breitete sich aus. Irritiert öffnete er die Augen. Er schwebte in der Luft, in einem gleißenden Licht. Wärme machte sich in ihm breit. Ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte, erfüllte ihn mehr und mehr. Etwas wie Demut, Zufriedenheit und Glück. Ja, er war glücklich. Glücklich, dass die Schmerzen weg waren, glücklich, dass ihm nicht mehr kalt war. Überhaupt war er glücklich, nichts spielte eine Rolle. Aber wo war er?
Geblendet sah er sich um. Nur langsam schälten sich Konturen aus dem Licht. Eine Halle, ein Tor, davor lag etwas auf dem Boden. Eine Bewegung, die immer schneller wurde. Schatten tanzen vor ihm, schälten sich immer deutlicher aus dem Licht…
Es waren zwei Männer. Einer stand unbeteiligt herum, der andere schlug mit schnellen Bewegungen auf etwas auf dem Boden ein. Immer und immer wieder. Unermüdlich holte er aus und schlug eine lange Eisenstange auf den Haufen. Den Haufen… Mensch… ein blutüberströmter Mensch… Ein Haufen er selbst…
Dunkler Nebel schoss auf ihn zu, riss ihn wieder zu Boden. Der Schmerz war wieder da, verzweifelt versuchte er zu atmen, doch die Luft kam nicht mehr in die Bronchien. Kohlenstoff sammelte sich in der Lunge, es fand kein Gasaustausch mehr statt.
„Wie kannst du nur so einfältig sein? Zu dumm. Mich zu hintergehen… mit meinen besten Kunden… Idiot. Hast du echt geglaubt, dass du damit durchkommst?“
Unfähig, sich zu bewegen, fühlte er, wie das Leben aus ihm wich. Doch sein Körper war gnädig. Halb erfroren, betäubte er ihn und ließ sein Bewusstsein schwinden. Den Schlag auf seinen Kopf und die vielen folgenden bekam er nicht mehr mit.
Der im Adrenalinrausch tobende Mann bekam das nicht mit. Sein Gehirn hatte abgeschaltet. Er schlug und schlug und schlug.
Sergej sah einen Moment zu, schüttelte dann den Kopf.
„Hey…“
Er berührte die Schulter des tobenden Mannes.
„Lass… Er ist tot…“
Zitternd, immer noch vom Adrenalin durchspült, wurden die Schläge langsamer. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt der Mann inne, verharrte bewegungslos, schwer atmend.
„Jetzt wirst du niemanden mehr bescheißen…“
Er spuckte aus, nestelte mit zitternder Hand in seiner Manteltasche.
„Scheiße, Sergej… gib mir eine verdammte Zigarette…“
Ein Telefonklingeln durchbrach die begonnene Stille, doch keiner der beiden reagierte.
„Hier, Chef…“
Sergej reichte eine Schachtel. Wieder klingelte es eindringlich.
„Chef, ist deins…“
Spucke flog auf den blutenden Haufen. Der Mann warf die Eisenstange in hohem Bogen in die Dunkelheit und zündete sich eine Zigarette an.
„Dreckskerl…! Schade, dass es so schnell ging…“
„Chef… dein Telefon klingelt…“
Es vergingen Minuten, oder waren es Sekunden…
„Chef…“
„Halts Maul, glaubst du ich bin taub?“
Wütend nahm er widerwillig das Telefon.
„Was?“
Scharf gepresst zischte es aus ihm heraus.
„Jamil… Verdammt, ich sagte, ich melde mich… Bitte?… Material? Was redest du da? Worum geht es…?“
Immer noch auf den Haufen starrend verharrte er und hörte immer aufmerksamer zu.
„Gut… ich denke darüber nach. Du machst nichts. Und Jamil… wenn ich sage, du machst nichts, dann machst du nichts, ist das klar? Ruf mich nicht wieder an!“
Er warf einen letzten Blick auf sein Werk, schnippte den Zigarettenstummel in die Nacht und ging zum Wagen.
Sergej zögerte…
„Und der da?“
„Nichts… den holen sich die Schakale.“
BUCH KAUFEN
CHRISTIAN MAI
Die fortwährende, andauernde Berichterstattung über die Frage wohin mit dem Atommüll, inspirierte Christian Mai zu seinem Erstlingswerk, dem Roman Trisolit. Fasziniert darüber, dass keine sichere, endgültige Lösung gefunden wurde, viele Möglichkeiten diskutiert und nur Provisorien geschaffen wurden, erweckte seine Neugier und führten ihn zu dieser Geschichte.
Christian, 1967 in Hamburg geboren, lebte einige Jahre in Paris und Mailand bevor er, wieder zurück in Hamburg seine Karriere als Fotograf begann. Namenhafte Magazine und Zeitschriften wurden auf ihn aufmerksam, er portraitierte Persönlichkeiten, u. a. Stars wie Helene Fischer, Howard Carpendale, Heidi Klum. 2009 gründete er eine Produktionsagentur und betreute dort, neben seiner Fotografie, als Creative Director unterschiedlichste Kunden, für die Bereiche Fotografie und Film. Hier schrieb er seine ersten Konzepte und Kurzgeschichten, drehte Videospots und Musikvideos.
Christian hat ein Faible für Kunst und Kreativität, Interieur und Design und liebt Biografien.
Aktuell arbeitet er an den zweiten Teil der Trisolit Trilogie.
TRISOLIT
von Christian Mai
KASACHSTAN, BAIKONUR
Es war wohl die kälteste Nacht, die Olev je erlebt hat. Eisiger Wind wehte über die Steppe Kasachstans und trieb losen Schnee vor sich her. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so gefroren zu haben, und er hatte Erfahrung mit der Kälte. Aufgewachsen im Norden von Sibirien hatte er einige eisige Winter erlebt, in dem der Dampf beim Ausatmen sofort knisternd gefror. Sie nannten es „Sibirisches Sternflüstern“. Schon als Kind hatte er es gehasst. Dieses ewige, in mehreren Schichten angezogen sein, immer darauf achtend, nichts mit bloßer Haut zu berühren, um nicht festzukleben. In Sekunden fror alles, was irgendwie flüssig war, die Autos und Heizungen mussten immer laufen, ansonsten platzten die Leitungen. Mit etwa vier Jahren bekam er seinen ersten Schluck Wodka, der von da an sein täglicher Begleiter wurde, was ihm ein trügerisches Gefühl von Wärme gab.
Sobald es ihm möglich war, verließ er diesen verhassten Ort, was aber nicht nur an der Kälte lag. Seine Mutter starb früh, das Verhältnis zu seinem Vater kaputt, hielt ihn nichts. Es zog ihn in die Welt und er wurde dann in Moskau von einer Organisation für Personenschutz rekrutiert, dessen Aufgaben ihn für einige Zeit in den mittleren Osten führte. Gott, was hatte er für eine schöne Zeit dort gehabt. Das Leben dort war genau nach seinem Geschmack. Er liebte das Essen, die Hitze und erst diese modernen arabischen Frauen…
Er bedauerte es sehr, dass er wieder nach Moskau beordert wurde, und er schwor sich sehr bald wieder zurückzukehren.
Und jetzt? Jetzt stand er hier, splitternackt, irgendwo mitten in der eisigen Steppe Kasachstans. Vor dieser Ruine von Hangar. Einst der Stolz der Sowjetunion. Die Antwort auf das Rennen in den Weltraum. Legendäre Raketen wurden hier gebaut, erfolgreiche Flüge absolviert. Doch das Scheitern suchte seinesgleichen. Die Kosten explodierten, die finanzielle Unterstützung wurde eingestellt. Zu allem Unglück brach auch noch das Dach des Hangars und stürzte auf die Prototypen. Das Projekt wurde sofort eingestellt und der Hangar, so wie er war, sich selbst überlassen.
Trostlos stand er jetzt verlassen in der Landschaft. Wie ein drohendes Mahnmal einer vergangenen Zeit. Gemieden, vereinsamt. Nach und nach fiel er in sich zusammen und nur vereinzelte Plünderer nahmen sich alles, was irgendwie brauchbar war. Sie hinterließen ihre unrühmlichen Spuren. Dreck, Müll und Schutt, um den sich jetzt der lose Schnee zu Verwehungen auftürmte. Ein Ort, an den sich niemand mehr verirrte, doch in dieser Nacht war es anders.
Die klirrende Kälte hatte ihn fast durchdrungen. Er spürte seine Arme nicht mehr. Seine Ellenbogen waren hinter seinem Rücken fixiert. Um die Waden schnitt ein fest gewickelter Draht bei jeder Bewegung tiefer in die Haut.
Kraftlos starrte Olev durch seine halb offenen Lider auf das, was seine Füße sein mussten. Blau standen sie da, in einer roten gefrorenen Lake Blut. Loser Schnee sammelte sich zwischen den Zehen und bildete kleine Hügel. So gleichmäßig sahen sie aus. Er versuchte sie zu bewegen, hatte aber die Gewalt über seine Muskeln verloren.
Gerne wäre er in sich zusammengesackt, doch er wurde von einem Mann an seiner Seite gestützt. Sergej, sein alter Freund, sein Kumpel, mit dem er durch dick und dünn gegangen war. Mit dem er in den Arabischen Emiraten Seite an Seite gearbeitet hatte. Im Iran rette er ihm das Leben und ausgerechnet er brachte ihn hierher. Ließ ihn nicht ruhen ob seiner Qualen, während unablässig eine Eisenstange seinen Körper malträtierte.
Nach Luft ringend schloss er die Augen. Er wusste, es würde nicht mehr lange dauern… Sein Blut floss unaufhaltsam in die Körpermitte, um die Funktion der wichtigsten Organe zu garantieren. Alles andere war wie betäubt. Er spürte nichts.
„Du Dreckskerl…“
Die Stange traf ihn unterhalb der Rippen. Ein stechender Schmerz schoss durch ihn hindurch, doch er war nicht mehr so stark wie die vorher und ebbte auch schnell ab. Die Kälte zollte ihren Tribut. Sie fraß sich in seinen Körper und betäubte ihn immer mehr. Was für eine Ironie… Die Kälte brachte ihm erst Schmerz, dann Linderung, dann bringt sie ihn um.
Der Mann mit der Stange kam einen Schritt auf ihn zu und riss seinen Kopf in den Nacken.
„Hör zu, Olev, mir in den Rücken fallen, nach allem, was ich für dich getan habe… eine dumme Idee. Du hinterhältiger Dreckskerl.“
Er bekam die Augen nicht richtig auf. Ein Schlag hatte seine linke Gesichtshälfte getroffen, die stark angeschwollen war. Seitdem fiepte ein schriller lauter Ton in seinen Ohren.
„Du weißt, was ich mit Verrätern mache…“
Olevs Kopf fiel auf die Brust zurück. Er war zu schwach ihn wieder anzuheben. Unendliche Schmerzen hatte er erlitten, Schmerzen, die so stark waren, dass er gelähmt war und immer nah an einer Ohnmacht kratzte. Doch eben nur nah. Er war so gut trainiert, so stark, er konnte einiges ab. Das wurde ihm hier zum Verhängnis.
Hoffnungslos schloss er die Augen. Er wusste, es würde nicht mehr lange dauern…
„Nicht einschlafen, du Dreckskerl…“
Sein Kopf wurde wieder in den Nacken gerissen. Ein Reflex schob ihm die Augen etwas auf.
Einen Moment blieb die Zeit stehen… noch nie hatte er so etwas gesehen. Der Himmel strahlte förmlich. Nie hatte er eine so sternenklare Nacht erlebt. Jeder Stern war deutlich zu erkennen. Millionen, nein Milliarden Sterne jeder Größe standen glasklar funkelnd am Firmament, leuchteten wie zu einem stillen Konzert. Eine Ode, die sie nur für ihn spielten.
„Was glaubst du, erwartet dich…?“
Immer weiter wurde er sein Kopf nach hinten gebogen. Doch es kam kein Schmerz. Überrascht wollte er etwas sagen, doch sein Kiefer war bewegungslos, die Kehle eingefroren. Nicht mal ein Grunzen kam aus ihm heraus.
Irgendetwas traf sein Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite und der Sternenhimmel war schwarz. So schwarz wie die Nächte in Sibirien.
„Hast du geglaubt, dass du damit durchkommst? Dass wir nicht dahinterkommen?“
Er bäumte sich auf, doch es war nur ein Zucken.
„Bist du sprachlos? Komm schon, du Dreckskerl… sag was…“
Etwas riss an ihm, dann warf ihn ein heftiger Stoß nach vorne. Knochenbrechendes Krachen erfüllte seine Ohren. Durch seine Brust schoss ein stechender Schmerz. Sekunden später schlug er mit der Stirn auf den Boden.
Plötzlich waren die Schmerzen weg. Stille breitete sich aus. Irritiert öffnete er die Augen. Er schwebte in der Luft, in einem gleißenden Licht. Wärme machte sich in ihm breit. Ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte, erfüllte ihn mehr und mehr. Etwas wie Demut, Zufriedenheit und Glück. Ja, er war glücklich. Glücklich, dass die Schmerzen weg waren, glücklich, dass ihm nicht mehr kalt war. Überhaupt war er glücklich, nichts spielte eine Rolle. Aber wo war er?
Geblendet sah er sich um. Nur langsam schälten sich Konturen aus dem Licht. Eine Halle, ein Tor, davor lag etwas auf dem Boden. Eine Bewegung, die immer schneller wurde. Schatten tanzen vor ihm, schälten sich immer deutlicher aus dem Licht…
Es waren zwei Männer. Einer stand unbeteiligt herum, der andere schlug mit schnellen Bewegungen auf etwas auf dem Boden ein. Immer und immer wieder. Unermüdlich holte er aus und schlug eine lange Eisenstange auf den Haufen. Den Haufen… Mensch… ein blutüberströmter Mensch… Ein Haufen er selbst…
Dunkler Nebel schoss auf ihn zu, riss ihn wieder zu Boden. Der Schmerz war wieder da, verzweifelt versuchte er zu atmen, doch die Luft kam nicht mehr in die Bronchien. Kohlenstoff sammelte sich in der Lunge, es fand kein Gasaustausch mehr statt.
„Wie kannst du nur so einfältig sein? Zu dumm. Mich zu hintergehen… mit meinen besten Kunden… Idiot. Hast du echt geglaubt, dass du damit durchkommst?“
Unfähig, sich zu bewegen, fühlte er, wie das Leben aus ihm wich. Doch sein Körper war gnädig. Halb erfroren, betäubte er ihn und ließ sein Bewusstsein schwinden. Den Schlag auf seinen Kopf und die vielen folgenden bekam er nicht mehr mit.
Der im Adrenalinrausch tobende Mann bekam das nicht mit. Sein Gehirn hatte abgeschaltet. Er schlug und schlug und schlug.
Sergej sah einen Moment zu, schüttelte dann den Kopf.
„Hey…“
Er berührte die Schulter des tobenden Mannes.
„Lass… Er ist tot…“
Zitternd, immer noch vom Adrenalin durchspült, wurden die Schläge langsamer. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt der Mann inne, verharrte bewegungslos, schwer atmend.
„Jetzt wirst du niemanden mehr bescheißen…“
Er spuckte aus, nestelte mit zitternder Hand in seiner Manteltasche.
„Scheiße, Sergej… gib mir eine verdammte Zigarette…“
Ein Telefonklingeln durchbrach die begonnene Stille, doch keiner der beiden reagierte.
„Hier, Chef…“
Sergej reichte eine Schachtel. Wieder klingelte es eindringlich.
„Chef, ist deins…“
Spucke flog auf den blutenden Haufen. Der Mann warf die Eisenstange in hohem Bogen in die Dunkelheit und zündete sich eine Zigarette an.
„Dreckskerl…! Schade, dass es so schnell ging…“
„Chef… dein Telefon klingelt…“
Es vergingen Minuten, oder waren es Sekunden…
„Chef…“
„Halts Maul, glaubst du ich bin taub?“
Wütend nahm er widerwillig das Telefon.
„Was?“
Scharf gepresst zischte es aus ihm heraus.
„Jamil… Verdammt, ich sagte, ich melde mich… Bitte?… Material? Was redest du da? Worum geht es…?“
Immer noch auf den Haufen starrend verharrte er und hörte immer aufmerksamer zu.
„Gut… ich denke darüber nach. Du machst nichts. Und Jamil… wenn ich sage, du machst nichts, dann machst du nichts, ist das klar? Ruf mich nicht wieder an!“
Er warf einen letzten Blick auf sein Werk, schnippte den Zigarettenstummel in die Nacht und ging zum Wagen.
Sergej zögerte…
„Und der da?“
„Nichts… den holen sich die Schakale.“
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